Texte

DEUTSCHE FOTOGRAFISCHE AKADEMIE

Finalist*innen des 5. Online Portfolio Walks 2021

Matthias Gödde | Melancholia – Vom Einklang der Seele mit den äußeren Umständen

Jury-Mitglied Andreas Langen über die Arbeit:

„Man muss schon einigermaßen verwegen sein, um sich einem so ungreifbarem Etwas wie der Seele ausgerechnet mit Mitteln der Fotografie zu nähern, die bekanntlich nichts weiter abzubilden vermag als die physische Oberfläche der Dinge. Matthias Gödde lässt sich von solcher Limitierung nicht bange machen. Er bindet sich die Kamera vor den Bauch – so wirken zumindest viele Untersichten in seiner Serie – und piekst sie auf, die Gesichter der Passanten, Stadtbenutzer, U-Bahn-Passagiere, Zufallsbegegnungen im Getümmel der Stadt. Oft kollidieren diese realen Gegenüber mit den werbeoptimierten Avataren seiner Spezies, und kommen dabei logischerweise immer ziemlich schlecht weg. So zaunpfahlmäßig müsste Gödde gar nicht winken, bzw. wenn er es nicht tut, sondern echte Menschen konzentriert aus nächster Nähe zeigt, ohne dass Werbegesichter dazischengrätschen, dann sind seine Porträts großartig in ihrer Intensität – Seelenverwandte von Diane Arbus oder Gabriele und Helmut Nothhelfer, um noch mal die Metapher des Untertitels zu bemühen. Es mag ja sein, dass die Großstadt-Menschen, die Gödde zeigt, deshalb so verloren wirken, weil der ganze Ramsch, der sie umflutet, ihnen die Seele raubt. Oder sie wirken wie lauter umgekehrte Robinsons – rettungslos allein inmitten all der anderen Deformierten – weil der Fotograf seine Gefühle zwischen Primark, Social Media und Klimawandel versinnbildlicht. Egal, wie herum es stimmt: Dies sind selten eindringliche Momentaufnahmen vom westlichen Homo Sapiens im frühen 21. Jahrhundert. Man wird sich an diese Bilder noch lange erinnern.“

————————————————————————–

Mixed Zone, Fa. Bohle 2018

Der Fotograf Matthias Gödde ist Autorenphotograph. wie alle Autoren erzählt er Geschichten und arbeitet in Bilderreihen, um diese Geschichten zu entfalten und zu vertiefen. Zwar die einzelnen Bilder überzeugen durch ihre Qualität und können sich allein behaupten,aber die Serie ist notwendig für die Entwicklung. In den 1970iger Jahren hat der Fotokritiker und Ausstellungsmacher Klaus Honnef den Begriff Autorenphotographie vorgeschlagen, um die Fotos, wie diese hier, von der reinen Reportage- und der Dokumentationsfotografie zu unterscheiden. Die letzteren zeigen ein Ereignisoder Situation. Die Autorenphotographie macht das auch, aber mehr. Die Betonung verschiebt sich vom Ereignis zu den Menschen im Geschehen. Honnef meinte, das der Autorenfotograf gibt uns ein einen Blick in die Seele der Dargestellten. Das ist ein feiner Schritt aber ein wesentlicher.

Gödde fängt den Augenblick meisterhaft ein, so dass wir in die Seelenstimmung dieser Menschen hineinschauen können, vielleicht in unsere eigene.

Obwohl alle diese Bilder von Menschen das schaffen, möchte ich ein Bild detailliert besprechen, und zwar das Bild eines Ehepaares aus der Reihe „Melancholia“.

Wir sehen ein etwas älteres Paar in der U-Bahn oder Straßenbahn. Eine Alltagssituation, aber nicht alltägliches, denn die Beiden tragen ein Karnevalskostüm. In der richtigen Jahreszeit und in der richtigen Stadt wäre das nicht ungewöhnlich. Auf jeden Fall nehmen die Mitfahrenden von Ihnen keine Notiz. Das Paar sitzt ganz ruhig da. Sie fahren hin. Wir können die Hektik der Vorbereitung und den Spaß bei der Sitzung erahnen, aber nicht sehen. Wir sehen eigentlich einen Moment des Wartens – tote Zeit. Wir sehen nicht einmal die Spannung des Erwartens, wie bei jungen Leuten – kein „wie wird es sein?“ , kein „wie sehe ich aus?“, kein Imponiergehabe, keine Plauderei. Diese Beiden wissen genau wie alles ablaufen wird. Sie müssen kein Small Talk mehr machen. Er weiß was Sie denkt, Sie weiß was Er denkt. Sie sind nur versunken in Gedanken während des Wartens. Was Sie denken bleibt uns verborgen. Wir können  uns jedoch in ihre Gedanken hineinsetzen, da wir auch Menschen sind.

Dr. Bennie Priddy

————————————————————————

Matthias Gödde – Seestücke / Seeday

Kreishaus Warendorf, 2006

Auzug:

 „Bilder sprechen für sich und brauchen keine seitenlange Analyse“, das sagt der international bekannte finnische Fotograf Esko Männikkö in der neusten Ausgabe des Kunstmagazins Art. Eine zu tief gehende Analyse des Bildes zerstört dessen Aura, so Männikkö, und verhindert, gewis Eindrücke über die Sinne wahrzunehmen und so tiefer zu lassen. Wenn diese Aussage in jener Absolutheit stimmen würde, könnte ich mit meiner Einführung enden bevor ich überhaupt angefangen habe. Denn ich will die Aura der Fotografien von Matthias Gödde ja nicht zerstören, auch nicht in seitenlange Analyse abdriften, dennoch möchte ich versuchen, Sie mit hinter die Vorhänge der unmittelbaren Wahrnehmung zu nehmen, denn Bilder zeigen stets mehr als das Auge fassen kann.

Seestücke nennt der Künstler die Serie von Fotografien, die er uns in der Ausstellung im Kreishaus präsentiert und es sind – wie alle Bilder von Matthias Gödde – Dokumentarfotos. Nichts ist arrangiert, nicht ist montiert oder per Bildbearbeitung manipuliert. Was wir sehen sind Fotografien pur und direkt, sind authentische Schnappschüsse, keine inzenierten Bilder.                ….Matthias Gödde arbeitet häufig bzw. hauptsächlich in Serien, eher spontan und beiläufig Entstandenes reiht sich darin an bewusst Reflektiertes.

Matthias Gödde ist weder Romantiker, wenn er sich der Landschaft und dem Meer als klassisches Thema widmet, noch ein Abenteurer, der zu unbekannten Ufern aufbricht, sondern ein Chronist, der mit teilnehmender Beobachtung zu meist bekannten Erscheinungen drängt. Nicht Landschaft pur stimuliert ihn, sindern die darin auftauchenden Menschen. Deren Verhalten in freier Natur, mit Blick auf das Meer ist sein Thema. Seine Fotografien „materialisieren“ existenzielle Gefühle und grundlegende Bedürfnisse des Menschen. Haben wir nicht alle schon am Meer gestanden, den Blick in die Weite gerichtet und dann im Gegenüber zu dieser Unendlichkeit nach Halt gesucht, die Hand ausgestreckt, den Arm um einen lieben Menschen neben uns gelegt? Sind am Strand entlang spaziert, haben geschaut, gedeutet, gelesen oder in der Sonne gelegen? Oder haben als Touristen die Kamera gezückt, um gerade diesen Moment des Urlaubs im Foto festzuhalten. Und haben wir uns nicht auch schon dabei ertappt, wie wir die anderen Touristen bei ihrem Tun beobachten, ihr Aussehen beurteilen und manches zu knapp sitzende T-Shirt belächeln? Es sind alltägliche und ganz menschliche Szenen, die Matthias Gödde als Sujet wählt, es sind keine erfundenen, sondern gefundene Situationen und trotz dieser Realität und scheinbaren Wirklichkeit handelt es sich um Kompositionen, denn der Fotograf bzw. die Kamera organisiert das Bild, setzt den Rahmen, wählt den Ausschnitt, der von der realen Welt gezeigt wird, bestimmt, was zu sehen ist

….Denn was wir Menschen, der Fotograf ebenso wie der Betrachter, im Sehen als Sinneseindruck wahrnehmen, gleicht keiner fotografischen Abbildung, ist keine ungefilterte Reproduktion des Gesehenen. Wahrnehmung ist vielmehr ein höchst selektiver, gedächtnisgesteuerter und handlungsorientierter Konstruktionsprozess, eine komplexe Operation nach angeborenen und erlernten Mustern. Wir nehmen etwas wahr, sehen es vor dem Hintergrund unserer Erfahrungen, Erlebnisse und der ganz persönlichen Einstellungen. Neben diesen individuellen Faktoren beeinflussen auch zeitliche, kulturelle und soziale Wahrnehmungsdifferenzen das Sehen. Wenn zwei Menschen dasselbe Bild betrachten, bedeutet das nicht automatisch, dass sie dasselbe sehen. Die Mechanismen des Sehens laufen bei jedem Menschen anders ab und das bedeutet auch, dass sich die Perspektiven und Dimensionen des Wahrnehmbaren unterscheiden. Und damit wird deutlich, dass erst fotografische Aufnahme und Wahrnehmung des Betrachters zusammen eine visuelle Konstellation zum Bild machen. Ein Bild ist eben nicht nur das, was wir sehen, sondern auch das was, wir fühlen und denken. Materielle und immaterielle Aspekte vereinen sich und sind untrennbar miteinander verbunden. Und wenn Sie genau hinschauen, dann sehen Sie in den Bildern von Matthias Gödde auch das Immaterielle, jenes Nichtsichtbare, das vom Körper zur Seele führt. 

Dr. Andrea Brockmann

—————————————————————————-

Ausstellung „Black Box“ Flughafen Münster Osnabrück im Mai 2002

Auszug:

Der Fotograf Matthias Gödde und der Komponist und Schlagzeuger Wlli Kellers haben ein Projekt unter dem mehrdeutigen Titel Destination erarbeitet. Dieser bezieht sich einerseits auf die Funktion des Flughafens als Ort der Abreise und andererseits auf die Selbstbestimmtheit der Reisenden. Er ist auch ironischer Verweis auf die im Flughafengebäude aushängenden englischsprachlichen Hinweisschilder, die im betulichen Münsterland ein internationales Flair zu etablieren suchen, wo doch der Münster Osnabrück International Airport die schöne Anschrift Hüttruper Heide 71-81 hat. An mehreren Tagen wurde der Flughafen hinsichtlich seiner visuellen und akustischen Eigenheiten untersucht. als Ergebnis wurde in der unteren Abflughalle ein Großbildfernseher aufgestellt, auf dem eine Abgolge von 90 Fotos zu sehen war die von einer aus Sprache und Musik bestehenden Kompostion begletet wurde. Verstellte Landschaftsausblicke, vergebliche Kommunikation sowie Leere und Weite sind daher wiederkehrende Motive in den Fotografien. Mehrfach zeigen sie den gescheiterten Versuch, exotische Welten zu vereinnahmen, sei es durch Aufdrucke auf  T-Shirts oder grossformatige Werbetafeln.

Die Fotografien zeigenkeine Postkartenansichten und nicht den schönen Schein, sondern vielmehr artifizielle Räume und Situationen, die heute Kennzeichen vieler Zielorte sind. Diese sind geprägt durch die Ökonomisierung des öffentlichen Raumes und Menschen als bereitwillige Akteure. Matthias Gödde ist ein Dokumentarfotograf, der Orte und Personen auf bildliche und inhaltliche Informationen hin untersucht, um einen andersartigen, oft ironischen Blick auf scheinbar bekannte Dinge und Zusammenhänge zu ermöglichen. Er erstellte eine fotografische Bestandsaufnahmen zum Thema Reisen, die nichts beschönigt, nichts auslässt und nur den sachlichen Blick auf die gegebenen Realitäten gelten lässt. Hierbei rückt das Banale eng an das Besondere, Witz und Ironie spielen eine nicht unerhebliche Rolle. Auch wenn Manches absurd, widersinnig, zumindest einseitig oder maßlos übertrieben scheint, so handelt es sich lediglich um die Wiedergabe dessen, was zu sehen war. Idealisierte Scheinwelten und nüchterne Realität können hierbei bisweilen hart aufeinandertreffen. Reiselust, Endeckerfreude, Fernweh und exotische Traumwelten sind heute Gegenstände einer Industrie, in der das Individuum entgegen den Versprechungen der Hochglanzprospekte nur wenig Chancen haben.

Dr. Martin Gesing

 

 

error: Content is protected !!